Neuigkeiten
11.10.2023
Die Integrationsbeauftragte von Sachsen-Anhalt im Interview
„Integrationsarbeit ist einfach keine Projektarbeit, es ist eine Daueraufgabe“
Im Interview erläutert die Integrationsbeauftragte von Sachsen-Anhalt, Susi Möbbeck (SPD), u.a. ihre Zusammenarbeit mit den migrantischen Organisationen des Landes und die Bedeutung institutioneller Förderung.
Frau Möbbeck, wie sehen Sie die bisherige Umsetzung des 2020 erarbeiteten Integrationskonzepts von Sachsen-Anhalt: Was wurde schon erreicht?
Schon beim Entstehungsprozess wurde viel erreicht: es gab einen breiten Partizipationsprozess mit Beteiligten aus der Integrationsarbeit. Diese Art der Erarbeitung hatte den Effekt einer besseren Vernetzung und auch eines Commitments aller Beteiligten auf erreichbare Ziele. Außerdem ging damit ein Perspektivwechsel bei allen Beteiligten einher.
Die Corona-Pandemie hat die Umsetzung des Konzepts dann stark verzögert. Einer der wichtigsten Punkte wird jetzt angegangen: ein systematisches Monitoring, um den aktuellen Stand der Integrationspolitik zu beschreiben, und eine Evaluation der Wirksamkeit unserer Maßnahmen.
Und wir wollen, dass die Entscheidungen in der Integrationsförderung daran ausgerichtet werden, inwieweit geplante Maßnahmen tatsächlich zur Umsetzung des Integrationskonzepts beitragen. Den Stand der Umsetzung wollen wir in jährlichen Umsetzungsberichten darstellen, wie wir es bereits für 2021 gemacht haben [siehe PDF-Dokument zum Download unten, Anmerkung von DaMOst].
Wo liegen die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?
Wir hatten seit der Verabschiedung des Konzepts völlig andere Herausforderungen, als wir vermutet hatten. Erst die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine, jetzt der Roll-Back, also Stimmungsumschwung in der öffentlichen Debatte um Geflüchtete. Aber gerade daran sieht man, dass wir dran bleiben müssen, Prozesse zu systematisieren und unsere Arbeit zu reflektieren!
Sie sind seit 2007 die Integrationsbeauftragte Sachsen-Anhalts. Wie arbeiten Sie mit den migrantischen Organisationen (MOs) in Sachsen-Anhalt zusammen?
Ich erlebe seit 2007 mit, dass MOs an einer großen Breite von Themen mitwirken. Dies wird zunehmend selbstverständlicher in Fachbereichen, wie der Jugendhilfe, dem Gesundheitswesen oder bei Arbeitsmarktfragen.
Mein Credo ist, dass die Zusammenarbeit mit MOs nicht davon geprägt sein darf, in MOs bloße Türöffner in die Communities zu sehen! Es geht darum, gemeinsam gute und nützliche Maßnahmen zu erarbeiten. Und das geht nur, wenn MOs von vornherein mit einbezogen werden.
Wie sieht die Zusammenarbeit konkret mit dem seit nun bald 15 Jahren bestehenden Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt (LAMSA e.V.) aus, das auch zu den Mitgliedern von DaMOst zählt?
Wir stehen in engem Dialog. Es gibt regelmäßige Austauschtreffen über unsere Ziele, den Stand der Zielerreichung und die Projektentwicklung. Dass LAMSA sich in dieser Breite und Heterogenität entwickelt hat, Angebote für alle macht, unabhängig von der Herkunft, und sich auch nach innen interkulturell geöffnet hat, finde ich außerordentlich bemerkenswert! Das ist ein großer Unterschied zu westdeutschen MOs, wo die gemeinsame Herkunft oft sehr bestimmend ist.
Darüber hinaus treffen wir uns auch, wenn akuter Bedarf entsteht, um aktuelle Herausforderungen oder Konfliktsituationen zu besprechen. Das funktioniert umso besser, weil LAMSA jetzt auch institutionell gefördert wird.
Damit sprechen Sie an, dass LAMSA im Koalitionsvertrag von 2021 der aktuellen Landesregierung aus CDU, SPD und FDP als „Partner im Integrationsprozess“ genannt wird. Dem Landesnetzwerk wird darin weitere Unterstützung zugesichert. Wie sieht diese institutionelle Förderung praktisch aus?
Wenn man als Land eine institutionelle Förderung auflegt, dann ist die Botschaft: „Wir haben hier eine dauerhafte Aufgabe, für die eine ein- bis dreijährige Förderung nicht ausreicht.“ Ein institutionell geförderter Träger kann sich dementsprechend darauf verlassen, dass es mit der Förderung weiter geht - außer, es gibt grundlegende Änderungen in den Rahmenbedingungen seiner Arbeit.
Dafür muss er dann aber auch hohe Anforderungen in Sachen Transparenz erfüllen: einen Wirtschaftsplan aufstellen, und das Land über all seine Projekte, Ein- und Ausgaben informieren.
Was bedeutet der Status als Empfänger*in von institutioneller Förderung für LAMSA in Bezug auf die nächste Landtagswahl, die 2026 stattfinden wird? Konkret gefragt: Würde eine rechtsextreme Partei mit dieser Wahl in die Landesregierung gewählt, was würde das für die institutionelle Förderung bedeuten?
Eine institutionelle Förderung ist kein gesetzlicher Rechtsanspruch. Wenn eine Regierung mit rechtsextremer Beteiligung an die Macht käme, wäre damit zu rechnen, dass eine solche Förderung abgeschafft würde. Nicht nur aus diesem Grund müssen wir alle gemeinsam dafür sorgen, dass das nicht passiert!
Auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern wünschen sich unsere Mitglieder, die Landesverbände der MOs, eine ähnliche Fördersituation wie die in Sachsen-Anhalt geschaffene. Was können Sie den Landesnetzwerken dazu raten?
Obgleich auch mit einer flexibel gehandhabten Projektförderung gute Arbeit gemacht werden kann: Integrationsarbeit ist keine bloße Projektarbeit, die nach drei Jahren geschafft ist. Es ist eine Daueraufgabe! Darum ist es wichtig, dass sie institutionell gefördert wird.
Ich rate, dran zu bleiben und nicht aufzugeben. Auch wenn es beim ersten Mal nicht klappt. Wir haben uns über zwei Jahre lang ohne Erfolg bemüht, bevor unser Finanzministerium dann zugestimmt hat.
Grundsätzlich hilft eine breite Aufstellung: Aus Sicht der Politik ist es von Vorteil, wenn es EINE Organisation gibt, über die sie alle Communities erreichen kann. Wenn es aber mehrere Landes-Dachverbände gibt, macht das die Entscheidung für eine institutionelle Förderung schwieriger.
LAMSA e.V. hat dieses Jahr die 7%-Kampagne gestartet, mit der sie den Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte in öffentlichen Ämtern Sachsen-Anhalts erhöhen wollen. Was halten Sie von der Kampagne? Dieses Ziel wird ja auch im Integrationskonzept genannt, wo es auf S. 83 heißt: „Für die erfolgreiche Integration ist es wichtig, […] Menschen mit Zuwanderungsgeschichte den Weg zur politischen Mitgestaltung zu ebnen“.
Ich unterstütze die Kampagne auf jeden Fall! Nur finde ich, sieben Prozent sind etwas klein gehalten. Wenn man wirklich alle erfassen würde, die in Sachsen-Anhalt eine Migrationsgeschichte haben, liegen wir über sieben Prozent. Und schließlich ist das ja auch eine stark wachsende Gruppe.
Auf jeden Fall erfordert es viel Mut, sich in dem aktuellen politischen Klima auf Institutionen einzulassen, die bisher als wenig offen wahrgenommen wurden. Da wird man schnell in die Rolle der*s Vorkämpfer*in gedrängt. Das will nicht jede*r. Wir wollen jeden bestärken, der diesen Weg geht!
Eine Frage noch zu den Kommunalen Integrations- und Landesbeauftragten: Aktuell ist nur in vier der acht Kommunen diese Position besetzt. Was sagen Sie zu der Forderung von MOs in Sachsen, Kommunen in Zukunft zu verpflichten, diese Positionen zu besetzen?
Die kommunalen Integrations- und Ausländerbeauftragten, die es in Sachsen-Anhalt gibt, können ihrer Arbeit aufgrund der Aufgabendichte kaum hinterherkommen, weil sie entweder nicht vollzeitbeschäftigt sind oder über zu geringe Ressourcen verfügen.
Klar wäre „verbindlich“ gut, aber es ist leider unrealistisch. Die Kommunen sind sehr belastet und stehen auch personell vor großen Herausforderungen. Den Kommunen Verpflichtungen und neue Positionen aufzuerlegen, wird nicht funktionieren. So etwas muss wachsen.
Allerdings haben wir in Sachsen-Anhalt seit 2008 pro Landkreis und kreisfreier Stadt zwei Vollzeit-Integrationskoordinator*innen, die vom Land bezahlt werden. Sie sind das Rückgrat der kommunalen Integrationsarbeit - auch, was die Kooperation zwischen der Verwaltung und den vielen Ehrenamtlichen beispielsweise in den Willkommensbündnissen oder in Lotsenprojekten angeht. Die Kolleginnen und Kollegen sorgen vor Ort für stabile Netzwerke für ein gelingendes Integrationsmanagement. Gerade in Krisenzeiten, in denen schnell reagiert werden muss, haben sich diese Strukturen bewährt.
Dieses Interview ist der Auftakt einer Interviewserie, mit der DaMOst die Arbeit der Integrations- und Ausländerbeauftragten der fünf ostdeutschen Bundesländer vorstellt. Um kein Interview zu verpassen, melden Sie sich einfach und unverbindlich für den DaMOst-Newsletter an.
Zugehörige Dokumente:
Umsetzungsbericht der Integrationsbeauftragten von… (*.pdf-Datei, 1 MB)