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12.02.2024
'Ein wichtiges Signal für den Freistaat'
In Sachsen wird aktuell über ein Integrations- und Teilhabegesetz beraten. Wir haben mit dem Sächsischen Ausländerbeauftragten, Geert Mackenroth MdL, über den Stand und die Schwachpunkte des geplanten Gesetzes gesprochen.
Weitere Themen sind die eingebrochene Förderung migrantischer und anderer Organisationen und die Zusammenarbeit zwischen MOs und dem Ausländerbeauftragten.
Herr Mackenroth, wie ist der aktuelle Stand des geplanten Sächsischen Integrations- und Teilhabegesetzes (SITG)?
Das ist vom Kabinett beschlossen und liegt seit November 2023 beim Landtag. Der zuständige Ausschuss hat das bekommen, konkret der Sozialausschuss. Mitbeteiligt sind auch noch der Ausschuss für Verfassung und Recht, Demokratie, Europa und Gleichstellung sowie der Finanzausschuss. Es hat im Januar eine Sachverständigenanhörung gegeben, da war auch ich geladen. Die Beteiligten haben sich zu dem jetzt vorliegenden finalen Gesetzentwurf geäußert und als nächstes werden die zuständigen Ausschüsse diese Anhörung auswerten und sich hoffentlich auf mögliche Änderungsanträge einigen. Der muss dann vom Ausschuss beschlossen werden und dann ins Plenum des Landtags. Das ist anspruchsvoll, aber wir hoffen alle sehr, dass dieses Gesetzgebungsverfahren bis zum Juni abgeschlossen sein wird, bevor dann im September die Wahlen sind. Denn wer weiß, was wir nach der Wahl für Mehrheiten vorfinden werden.
Wie stehen Sie zum SITG?
Wir vereinheitlichen mit dem SITG Integrationsstrukturen und bauen sie aus. Wir geben den Kommunen damit eine Handlungsanweisung. Wir legen den Fokus auf Sprache, Bildung und berufliche Integration. Wir betonen die kommunale Integrationsarbeit. Und meine Stelle des Ausländerbeauftragten wird umbenannt in Integrationsbeauftragter.
Nachgebessert werden sollte noch unbedingt bei der Zuständigkeit des Integrationsbeauftragten für die sich nicht dauerhaft in Sachsen aufhaltenden Menschen, so dass ich auch weiterhin für die Migranten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus zuständig bleibe.
Insgesamt ist das SITG also ein wichtiges Signal für den Freistaat.
Was sagen Sie zu der Kritik von Sächsischen MO am SITG-Entwurf, u. a. dass für Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus kaum Möglichkeiten der Teilhabe vorgesehen sind und damit mögliche Integrationsprozesse verschleppt werden?
Das SITG definiert Menschen mit Migrationshintergrund als Personen, die sich dauerhaft in Sachsen aufhalten, und das sehe ich als große Schwäche. Denn das schließt Studierende aus, Auszubildende und zeitlich befristet Arbeitende. Das führt nur zu Unklarheiten und man sollte das SITG für die genannten Zielgruppen öffnen und sagen: Wir kümmern uns um alle. Das Ausmaß der staatlichen Integrationsbemühungen kann dann ja immer noch unterschiedlich ausgestaltet werden. Das ergibt sich ohnehin aus dem Gesetzesvollzug.
Und was sagen Sie zu den Einwänden, dass die avisierten Maßnahmen nicht mit einer Ausweitung der Finanzierung einhergehen, was ihre Umsetzung in Frage stellt, und somit mit dem SITG weiterhin prekäre und kurzfristige Projektförderungen für den Bereich angedacht sind und keine Strukturförderungen auf den Weg gebracht wurden?
Integration ist im Haushalt finanziell untermauert. Wie sich das entwickelt, hängt von der Landtagswahl in diesem Jahr ab. Eine institutionelle Strukturförderung wäre wünschenswert, ist aber politisch nicht umsetzbar gewesen. Insgesamt ist der Gesetzesentwurf das Ergebnis eines intensiven Beteiligungsprozesses und parteipolitischen Ringens.
Ist das auch ihre Entgegnung auf den Kritikpunkt der MOs, das SITG richte einen einseitigen Fokus auf Assimilationserwartungen gegenüber Migrant*innen und laufe damit dem Gedanken einer wechselseitigen Integration grundlegend zuwider?
Naturgemäß richtet sich ein solches Gesetz an Personen mit Migrationshintergrund und bietet für diesen Personenkreis Strukturen und Fördermöglichkeiten, verlangt aber im Gegenzug auch Willen und Initiative, Prozesse wie Spracherwerb, berufliche Integration usw.
Dann richtet sich das Gesetz vorrangig natürlich auch an die Behörden, Anstalten, Stiftungen des öffentlichen Rechts und an die Wirtschaft und verlangt von diesen Initiativen zur Unterstützung. Also Repräsentanz in Behörden, interkulturelle Öffnung. Ich halte die Kritik daher nicht für durchschlagend.
Wie stehen Sie zu der Kritik, dass keine explizite Förderung dringend benötigter kritischer politischer Bildung und von Diversitätssensibilität festgeschrieben wurde?
Das stimmt, das fehlt in dem Gesetz. Aber das ist auch nicht zwingend Gegenstand eines Integrations- und Teilhabegesetzes. Für politische Bildung wäre das Justizministerium zuständig. Ich würde die beiden Themen nicht vermischen. Das ändert aber nichts daran, dass wir in Sachsen politische Bildung vielleicht dringender brauchen als in anderen Bundesländern.
Wie sieht es denn aus mit dem Kritikpunkt, dass die angestrebten kommunalen Integrations- und Teilhabemaßnahmen nicht verpflichtend sind? Die Einrichtung von Beauftragten und Beiräten auf kommunaler Ebene sollen ja weiterhin freiwillig bleiben, was nicht gerade auf konkrete Teilhabemöglichkeiten und deren Ausweitung abzielt.
Wenn das Land den Kommunen Pflichtaufgaben aufdrückt, muss es einen Mehrbelastungsausgleich stemmen. Dagegen sträubt sich der Finanzminister. Die Beteiligung der Migrantenorganisationen auf kommunaler Ebene regeln die Kommunen. Das kann ein solches Landesgesetz nicht regeln. Aber im Gesetzesentwurf steht drin, bei § 17, Absatz 2, Nr. 4, dass zu den Mitgliedern des Landesbeirats für Integration und Teilhabe u. a. auch Vertreter von landesweit tätigen migrantischen Selbstorganisationen berufen werden sollen. Auf Landesebene ist das also sichergestellt und natürlich ist es wünschenswert, dass auch auf kommunaler Ebene Organisationen vertreten sind, soweit vorhanden.
Wo in Sachsen klappt das gut?
In Leipzig und den anderen großen Städten läuft das wunderbar. Das Problem sind aber die Landkreise. Ostsachsen, Westsachsen, Nordsachsen, Erzgebirge sind unterschiedliche Regionen mit unterschiedlichen Mehrheiten in den Kreistagen. Das ist die kommunale Selbstverwaltungshoheit, dass die Kommunen sagen können: wir machen das so, wie es für uns richtig ist.
Viele MO sind auf die Förderrichtlinie „Integrative Maßnahmen“ angewiesen, um ihre Arbeit professionell gestalten zu können. Ende letzten Jahres mussten aber alle Antragstellenden ihre Anträge in kurzer Zeit überarbeiten und erneut einreichen, um der Novellierung der Förderrichtlinie gerecht zu werden. Viele MO müssen nun ein hohes Risiko eingehen, indem sie ihre Mitarbeitenden und ihre Strukturen ohne gesicherte Finanzierungsgrundlagen aufrechterhalten müssen. Wie ist Ihre Einschätzung? Was können Sie den betroffenen MO mitgeben?
Offensichtlich sind im Sozialministerium technische Fehler gemacht worden, die dann den Sächsischen Rechnungshof dazu gebracht haben, einen Prüfbericht vorzulegen, der alles andere als schmeichelhaft ist. Gegen solche Prüfberichte kann man sich so gut wie gar nicht wehren, das Sozialministerium musste also die Förderung umstellen. Der Sächsische Landtag will dazu einen Untersuchungsausschuss einrichten [Stand: 29.1.2024].
Ich habe Verständnis für den Unmut. Das ist für die Mitarbeitenden und Mitarbeiter alles andere als schön. Aber gegen die Macht des Rechnungshofes kann ich auch nichts ausrichten.
Die Novellierung der Förderrichtlinie soll nur vorübergehend sein, die Richtlinie soll bereits 2024 erneut überarbeitet werden. Halten Sie das im Wahljahr für realistisch oder steuern wir einem ähnlichen Szenario wie letztes Jahr entgegen?
Es gibt eine Menge gutwilliger Menschen – und dazu zähle ich mich auch, die daran arbeiten und die sich bemühen, die Einschnitte für die betroffenen Organisationen so gering wie möglich zu halten. Aber die Zeit ist sehr knapp: die Überarbeitung der Förderrichtlinie müsste bis April/ Mai geschehen sein. Nach der letzten Plenarsitzung im Juni wird bei uns Stillstand sein wegen der Wahltermine.
Ich hoffe, dass bis dahin eine Förderstrategie erkennbar wird, und dass das angeforderte Gutachten mit Erkenntnissen aus dem Rechnungshofurteil dann auch tatsächlich vorliegt, so dass man den bisher geförderten Initiativen ein bisschen mehr Sicherheit geben kann. Aber ob wir damit erfolgreich sind, kann ich nicht sagen.
Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit dem 2017 gegründeten Dachverband sächsischer Migrant*innenorganisationen (DSM e. V.), der rund 66 MOs in Sachsen vertritt? Was läuft gut, wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?
In die Gründungsphase war ich intensiv mit einbezogen und war auch bei der Gründungsversammlung. Danach ist der Kontakt weniger geworden. Ich glaube, dass der DSM e. V. sich die eine oder andere Chance entgehen lässt, die mit solchen regelmäßigen Gesprächen verbunden wäre. Wenn man mir schildert, wo es drückt, habe ich die Möglichkeit zu helfen. Ich würde mir wünschen, dass dieser Dialog wieder intensiviert wird.
Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf migrationsrelevante Themen in Ostdeutschland?
Das aktuellste und wichtigste ist, dass wir die laufenden Demonstrationen gegen Rechtsextremisten und die AfD nutzen, um Akzeptanz für Migrationspolitik zu gewinnen oder zurückzugewinnen, wo sie verloren gegangen ist.
Daneben müssen wir sehen, dass wir die Beratungsstrukturen im Freistaat verstetigen. Sowohl Migranten als auch Arbeitgeber, die Fachkräfte suchen, benötigen, ähnlich wie bspw. in Berlin, einen einheitlichen Ansprechpartner.
Ein weiteres wichtiges Thema ist die interkulturelle Öffnung der Verwaltung. Wir benötigen mehr interkulturell geschultes Personal und auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit eigenem Migrationshintergrund und Fremdsprachenkenntnissen, um kompetenter auftreten zu können. Dies gilt insbesondere für die Polizei, die Ausländerbehörden, die Ordnungsämter und andere Stellen, die sich von Amts wegen mit Migration und Migranten beschäftigen.
Schließlich das Dauerthema: Wir müssen weiter Anreize setzen für Arbeits- und Fachkräfte, für den Wirtschaftsstandort Sachsen. Die Sozialministerin war auch gerade in Brasilien und hat dort für Fachkräfte geworben.
Welchen Themen und Aufgaben sollte sich DaMOst im Jahr 2024 verstärkt widmen?
Ich warne davor, sich parteipolitisch zu sehr zu exponieren. Wenn Ihr auf parteipolitische Neutralität achtet, gewinnt Ihr an Akzeptanz und Glaubwürdigkeit.
Unsere Erfahrung ist: Wenn wir Politiker*innen zu Veranstaltungen einladen, z. B. zu Podiumsdiskussionen, sagen Abgeordnete der CDU und der FDP uns meistens ab.
Das halte ich für unklug. Wenn Sie das für Sachsen erleben, dann rufen Sie mich kurz an. Dann kann ich ganz konkret nachhaken.
Dieses Interview ist der 2. Teil einer Serie von Interviews, die DaMOst e.V. mit den Ausländer- bzw. Integrationsbeauftragten der ostdeutschen Bundesländer führt.
Den 1. Teil, das Interview mit Sachsen-Anhalts Integrationsbeauftragter Susi Möbbeck, finden Sie hier >>>