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06.04.2022
Wie kommen junge Menschen in die Politik?
Am 17. März 2022 fand die digitale Podiumsdiskussion zum Thema „Migrantisches Engagement in Ostdeutschland zwischen Straße, Verein und Bundestag“ statt. Die Veranstaltung wurde von DaMOst im Rahmen des Projekts Kompetenznetzwerk für das Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft und in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung organisiert. Damit startete DaMOst seine Aktionswoche im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus 2022.
Bei der Podiumsdiskussion wollten wir herausfinden, wie wir es in Ostdeutschland jungen BIPoC und Menschen mit Migrationsbiographien ermöglichen können, sich politisch zu engagieren. Gleichzeitig interessierte uns, wie sie vor rassistischen Anfeindungen geschützt werden können. Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen hatten wir als Diskutant*innen folgende Politiker*innen zu Gast:
- Rasha Nasr, MdB (SPD)
- Kassem Taher Saleh, MdB (Bündnis 90/Die Grünen)
- Igor Matviyets, SPD-Kandidat bei Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt 2021
Die Diskussion moderierte Peggy Piesche von der Bundeszentrale für politische Bildung.
Lob für DaMOst von Staatsministerin Reem Alabali-Radovan
Die Runde wurde mit der Videobotschaft von Reem Alabali-Radovan, der Staatsministerin beim Bundeskanzler, der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration und Beauftragten für Antirassismus, eröffnet. Am Anfang machte die Staatsministerin in ihrem Grußwort darauf aufmerksam, dass nur 11 % der Abgeordneten im Bundestageine familiäre Einwanderungsgeschichte haben, obwohl dies bei 27 % der Bevölkerung der Fall ist. Um die Teilhabe von Leuten mit Migrationshintergrund am politischen Geschehen besser ermöglichen zu können, skizzierte sie vier wichtige Punkte:
- Gremien wie die Integrationsbeiräte, wo sich Leute mit Migrationsgeschichte engagieren, sollen bekannter und attraktiver werden.
- Die Parteien sollen den Zugang zur Politik für Menschen mit Einwanderungsbiographien mit Mentor*innen-Programmen unterstützen. Aktive Mandatsträger*innen sollen dabei eine Schlüsselrolle spielen.
- Mehr Solidarität für Politiker*innen mit Einwanderungsgeschichte, die von Anfeindungen betroffen worden sind.
- Empowerment für junge Leute mit Migrationshintergrund, die politisch aktiv sein möchten, z.B. in Form von Trainings, die beibringen, wie man widerstandsfähig gegen Hass und Hetze in den sozialen Medien sein kann.
Dabei unterstrich die Staatsministerin die Rolle von DaMOst, denn mit seiner täglichen Arbeit und mit dieser Veranstaltung zeige DaMOst klare Kante gegen Hass, für Empowerment und Zusammenhalt.
Mit ihrem Amt als neue und erste Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung werde sie die Organisationen und die Zivilgesellschaft in Ostdeutschland im Kampf gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit immer unterstützen, denn sie leisteten auch bei Gegenwind einen wertvollen Beitrag für ein gutes Miteinander in unserem Land.
Diskussion über Maßnahmenkatalog gegen Rassismus und über Quote
Im Anschluss erzählten die Gäste von ihren Wegen in die Politik und was sie motiviert. Als nächstes wurde die Frage diskutiert, welche Initiativen den strukturellen Rassismus bekämpfen können und wo es beim Maßnahmenkatalog der Bundesregierung zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus Nachholbedarf gibt. Leider wird das Thema Ostdeutschland dort nicht explizit in den Fokus genommen; weder werden spezifische Maßnahmen benannt noch die besonderen Herausforderungen und Potenziale in Ostdeutschland als Querschnittsthema betrachtet.
Kassem Taher Saleh betonte, dass struktureller Rassismus zwar in Ostdeutschland ausgeprägter sei, es jedoch weiterhin ein gesamtdeutsches Problem bleibe. Dabei lobte er das geplante Demokratiefördergesetz. Niedrigschwellige Angebote der politischen Bildung sollten auch in zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Sportvereinen, Schauspielhäusern oder beim gemeinsamen Kochen angeboten werden. Ebenso unterstrich Herr Taher Saleh, dass die Arbeit in ländlichen Räumen, wo rechte Tendenzen ausgeprägter sind als in den städtischen Gegenden, noch präziser angegangen werden muss. Nach Rasha Nasr sollen mehr Politiker*innen mit Migrationshintergrund als Vorbilder dienen, bis es zur Normalität wird, dass BIPoC und Menschen mit Migrationsbiographien aktiv in der Politik vertreten sind. Auch sie lobte das geplante Demokratiefördergesetz und machte darauf aufmerksam, dass Demokratiearbeit und Integrationsarbeit nicht an Projektzeiträume gebunden sein sollten. Gleichzeitig sollte man aufhören, denjenigen „die am meisten schreien“ ihre Aufmerksamkeit zu schenken, sondern denjenigen, die täglich für die Demokratie kämpfen. Igor Matviyets betonte angesichts der ostdeutschen Besonderheit dieser Frage, dass man im Osten mehr Arbeit vor Ort leisten müsse, um sich mit dem westlichen Teil Deutschlands auszugleichen.
Zur Diskussion wurde auch die Frage gestellt, ob eine Quote für BIPoC und Menschen mit Migrationsbiographien in der Politik und insbesondere in den Parteien sinnvoll wäre. Herr Saleh befürwortete eine solche Quote, weil man seiner Auffassung nach in der Frage nicht von außen ernst genommen werden könne, solange man nicht dieselben Voraussetzungen in den eigenen Reihen erfülle. Er betonte, dass man eine solche Quote später wieder abschaffen könnte. Frau Nasr und Herr Matviyets, die beide die SPD vertreten, sprachen sich gegen eine Quote aus, da sie nicht zur Förderung solcher Menschen in der Politik beitragen würde und nicht jeder sich als „Ausländer*in“ identifizieren wollen würde.
Über Schubladendenken und ein Appell an migrantische Communities
Angesichts der Frage der Selbstidentifizierung teilten alle Vertreter die Meinung, dass man als Person mit Einwanderungsgeschichte nicht unbedingt in der Politik auch als solche wahrgenommen werden wolle. Häufig werde versucht, diese Menschen in eine „gewisse Schublade“ zu schieben. Zudem würde ihnen zu Beginn ihrer politischen Laufbahn keine Fachexpertise in einem anderen Fachgebiet anerkannt.
Hinsichtlich der Frage, wie die vielseitige und facettenreiche migrantische Community nicht gegeneinander, sondern miteinander und füreinander agiere, haben alle Teilnehmer*innen betont, dass das Problem tatsächlich existiere, es auch manchmal Rassismus zwischen den Communities gäbe und es für Vertreter*innen von einer migrantischen Community, bisweilen schwer sei, sich in das Leben einer anderen Community hineinzudenken. Igor Matviyets appellierte daran, solidarisch miteinander zu sein und gemeinsame Ziele zu verfolgen.
Abschließend wurden kurz die Themen Arbeit und finanzielle Unterstützung von Migrantenorganisationen in ländlichen Räumen besprochen. Weitere Themen waren die Hilfe der Kriegsflüchtenden aus der Ukraine und die mangelhafte Arbeit einiger Ausländerbehörden. Bezüglich des Letzteren wurde nochmal betont, wie wichtig und entscheidend die strukturelle Besetzung und die Teilhabe in den Behörden, Verwaltung und der Justiz sind.