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02.02.2023
'Thüringens migrantische Communities sind sehr vielfältig'
Was beschäftigt unsere Mitglieder, die Landesverbände? Wir fragen nach.
Diesmal im Interview: Elisa Calzolari, seit 2020 Geschäftsführerin von MigraNetz Thüringen e. V., erzählt u.a., wie migrantische Organisationen sichtbarer werden können und was wirkliche gesellschaftliche Teilhabe ausmacht.
Liebe Elisa, was sind die wichtigsten Aufgaben für MigraNetz Thüringen in nächster Zukunft?
MigraNetz Thüringen hat in den letzten Jahren schon sehr viel erreicht, aber es gibt auch trotz allem noch viel zu tun, in Thüringen, aber auch in Ostdeutschland. Für 2023 haben wir uns primär drei thematische Schwerpunkte gesetzt. Erstens Elternarbeit: Wir wollen ein Netzwerk migrantischer Eltern aufbauen, gerade auch im ländlichen Raum Thüringens, und Multiplikator*innen für die Stärkung und Qualifizierung der Elternarbeit ausbilden.
Zweitens wollen wir ermitteln, welche Bedarfe und Herausforderungen unsere Mitgliedsorganisationen haben. Diese Bedarfsermittlung werden wir in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen durchführen und uns gezielt an unsere MOs in ganz Thüringen richten. Denn Thüringens migrantische Communities sind sehr vielfältig. Ein vietnamesischer Verein in Jena beispielsweise hat nicht die gleichen Interessen wie die Jesidische Gemeinschaft in Nordhausen. Da gibt es ganz unterschiedliche Grade an Struktur, Bedürfnissen, aber auch Herausforderungen.
Die Ergebnisse der Studie werden dann der Weiterentwicklung spezifischer, maßgeschneiderter Maßnahmen und Projekte für die MOs dienen, mit dem Ziel, ihre gesellschaftliche und politische Teilhabe zu stärken und ihre Sichtbarkeit zu erhöhen. Hierfür werden wir auch wieder an der Aktualisierung der MO-Broschüre für Thüringen mitwirken, welche alle zwei Jahre von der Thüringer Beauftragten für Integration, Migration und Flüchtlinge, Mirjam Kruppa, herausgegeben wird und eine Übersicht über die vielfältige MO- und Beiratslandschaft in Thüringen liefert.
In diesem Zusammenhang wollen wir uns, drittens, verstärkt im Bereich der politischen Bildungsarbeit für Migrant*innenorganisationen engagieren, vor allem durch spezifische Projekte, Veranstaltungen und Bildungsworkshops.
Was sind im Moment die größten Herausforderungen für euch?
Der Grundgedanke der Existenz von Landes- und Dachverbänden ist es tatsächlich, als Organisation irgendwann überflüssig zu sein. Aber in Thüringen haben wir die Situation, dass es noch immer sehr an migrantischen Strukturen mangelt. Und die, die es gibt, sind kaum sichtbar. Das ist auch kein Wunder: 90 Prozent der MOs arbeiten komplett ehrenamtlich und sehen sich auch darüber hinaus mit einer Vielzahl an gesellschaftlichen Problemlagen konfrontiert: institutionellem und strukturellem Rassismus, fehlenden politischen Teilhabemöglichkeiten und vielem mehr.
Gibt es weitere Herausforderungen?
Ein großes Problem sind für uns fehlende Teilhabemöglichkeiten. Damit meine ich echte Partizipation auf Augenhöhe. Wenn wir nur bei explizit migrantischen Themen von der Politik hinzugezogen und gehört werden, dann reicht das noch nicht! Bei allen politischen Themen sollten migrantische Perspektiven selbstverständlich miteinbezogen werden. Dass MigraNetz Thüringen beispielsweise bei der Überarbeitung des Thüringer Gleichstellungsgesetzes mit seiner Expertise hinzugezogen wurde, ist ein Anfang, sollte aber die Norm sein.
Dann ist da noch der eklatante Rassismus, sowohl auf struktureller Ebene in Institutionen als auch im Alltag. Dieser hat sich mit Beginn des Krieges in der Ukraine unter anderem sehr deutlich bei der Ungleichbehandlung von geflüchteten Menschen gezeigt. Um diese Problematik auf die politische Agenda zu bringen, haben wir bspw. einen Fachtag zu „Rassismus und Diskriminierung im Kontext des Krieges in der Ukraine“ organisiert, der am 21. Januar in Jena stattfand. Hierfür haben wir uns starke Allies aus der sogenannten „Mehrheitsgesellschaft“ mit ins Boot geholt, wie die Partnerschaft für Demokratie Jena und Kokont Jena, um eben mehr Sichtbarkeit für diese gesellschaftliche Ungleichbehandlung und Diskriminierung zu erlangen.
Welche Wünsche hat MigraNetz Thüringen an DaMOst als seinen Dachverband?
Wir brauchen DaMOst als Dachverband auf Bundesebene, um ein starkes, politisches Sprachrohr aller Migrant*innen (-organisationen) in Ostdeutschland zu haben. Ich persönlich finde, dass DaMOst mit Projekten wie dem Kompetenznetzwerk oder AntiRAktiv auf einem guten Weg ist, allerdings müssen wir unsere Zusammenarbeit und unser Präsenz auf Bundesebene gemeinsam weiter stärken.
Über MigraNetz Thüringen:Das Landesnetzwerk der Migrant*innenorganisationen in Thüringen wurde 2015 gegründet, ist seit 2021 ein eingetragener Verein und umfasst aktuell über 50 Mitgliedsorganisationen. Seine Hauptziele sind die Vertretung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen von in Thüringen lebenden Migrant*innen auf Landesebene, die Gründung, Stärkung und Qualifizierung von migrantischen Organisationen sowie drittens der Auf- und Ausbau einer starken Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit.
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